Analyse: Diese riesigen Potenziale verschenkt der deutsche Werbemarkt noch immer
Kaum jemand war wohl erstaunt, als der OVK kürzlich verkündete, dass die digitale Display-Werbung in Deutschland weiterwächst. Auf ein Plus von 9,7 Prozent darf die Branche sich 2019 freuen. Einer der großen Wachstumstreiber ist Programmatic. Der neue Programmatic Data Report 2019 von emetriq liefert dazu einige Insights, die den einen oder anderen überraschen mögen. Er zeigt, dass die Dominanz von Google bei Weitem nicht so groß ist, wie allgemein angenommen, dass der Cookie trotz aller Abgesänge noch lange nicht tot ist und, dass die meisten Werbetreibenden noch immer große Potenziale in der programmatisch ausgesteuerten Werbung ungenutzt lassen. Da geht nicht nur noch was, tatsächlich geht da noch viel mehr. Stephan Jäckel, Geschäftsführer von emetriq, erklärt in dieser Analyse die fünf wichtigsten Learnings aus dem Programmatic Data Report.
1. Die Google-Dominanz gilt nicht für den deutschen DSP-Markt
Kaum ein Segment im Online-Marketing wächst derzeit derart dynamisch wie das Programmatic Advertising. 2019 werden hierzulande rund
74 Prozent aller Werbebuchungen programmatisch ausgesteuert – und so laut eMarketer 1,66 Milliarden Euro umgesetzt. 2017 waren es noch 54 Prozent beziehungsweise 1,1 Milliarden Euro. Anders als in anderen Milliardenmärkten wird dieser Bereich jedoch noch nicht komplett von den großen Tech-Riesen wie Google dominiert. Auch wenn viele glauben sollten, dass der Suchmaschinen-Gigant Google als Demand-Side-Plattform (DSP) der wichtigste Umschlagplatz für den Einkauf programmatischer Werbeanzeigen ist, steht die US-Company doch alles andere als konkurrenzlos da. Wir beobachten, dass weitere fünf DSPs in Deutschland signifikante Marktanteile besitzen und den Markt in Bewegung versetzen. DSPs sind Dreh- und Angelpunkte im Data-driven Advertising, denn sie fungieren als zentrale Plattformen, die verschiedene Angebotskanäle bündeln und ihren Kunden so einen effizienten Einkauf von Werbeinventar ermöglichen. Advertiser haben also durchaus eine Wahl, wenn es um die Frage geht, über welchen Technologie-Dienstleister sie ihre Dateneinkäufe abwickeln möchten. Tatsächlich zeigt unser Report: Datensouveränität steht auf der Tagesordnung der Werbetreibenden und spielt bei der Auswahl der DSP eine wichtige Rolle.
2. Die Automobilbranche ist der derzeit größte Treiber beim Programmatic Advertising
Für unseren Daten-Report haben wir uns die Datenumsätze innerhalb der verschiedenen Branchen im Detail angesehen, um herauszufinden, wer die größten Treiber im Programmatic Advertising sind. Zu den fünf größten Dateneinkäufern nach Branchen zählt an erster Stelle die Automobilindustrie, gefolgt von den Sektoren Finanzen, Pharma und Elektronik. Steigt man noch tiefer in die Datenanalyse ein, zeigt sich, dass die Autobauer wie die Pharma-Konzerne hauptsächlich auf demografische Zielgruppensegmente setzen. Das ist ein klarer Beleg dafür, dass Progammatic heute schon für große Branding Kampagnen eingesetzt wird. Die Vorteile liegen dabei ja auch förmlich auf der Hand: Die Akzeptanz von one-to-many Kommunikation in digitalen Kanälen ist auf dem Tiefpunkt. Effektive Markenbildung setzt dagegen auf datengestützte intelligente, individualisierte one-to-one Kommunikation.
3. Die Programmatic-Pioniere aus dem Retail-Bereich setzen Programmatic noch immer zurückhaltend ein
Erst auf Platz fünf im Branchen-Ranking stehen die Retailer. Dieses Ergebnis hat uns besonders überrascht. Denn obwohl die Online-Einzelhändler vermeintlich zu den Pionieren im digitalen Marketing zählen, setzen sie nur zurückhaltend Daten im Programmatic ein – zumindest, wenn es um 3rd-Party-Daten geht. Dafür aber greifen sie vergleichsweise häufig auf die Möglichkeit zurück, ihr Targeting zu spezifizieren, indem sie demografische und interessensbasierte Zielgruppensegmente mischen und so maßgeschneiderte Custom-Segmente zur Aussteuerung ihrer Kampagnen verwenden – insofern sind sie dann doch Vorreiter. Dies dürfte beispielsweise auch für den Bereich des Retargetings gelten. Denn branchenübergreifend ist noch immer Demografie das stärkste Targeting-Modell. 56 Prozent des Gesamtumsatzes entfallen darauf. Maßgeschneiderte Segmente hingegen machen lediglich zehn Prozent aller Datenumsätze aus. Dabei könnten Werbungtreibende damit Zielgruppen nach ihren individuellen Bedürfnissen zusammenstellen und in hohem Maße präzisieren. Noch leiten sich viele Media-Strategien mit Branding Fokus aus Marketing-Zielgruppen und Personas ab. Dabei erlauben neue effektivere Werkzeuge wie unser Audience Insights Tool, Marketers mittlerweile tieferliegende Erkenntnisse über ihre Zielgruppe zu gewinnen und diese iterativ im Kampagnenverlauf mit Interaktionsdaten und zur Optimierung anzureichern.
4. Zu allgemeine Zielgruppen-Segmente: Alle Branchen verschenken große Potenziale
Grundsätzlich hat uns die Zurückhaltung bei Custom-Segmenten doch sehr erstaunt – spricht doch gerade die Werbewelt mit zunehmendem Eifer über Kundenzentrierung, Hypertargeting und Micromoments. Aus technischer Sicht ist vieles möglich. Wirklich ausgefeilt sind die Methoden der Dateneinkäufer jedoch nicht: Das Targeting-Repertoire der meisten Mediaplaner beschränkt sich vor allem auf die demografischen Segmente Alter und Geschlecht, obwohl Targeting auf User-Interessen weitaus kreativere und effektivere Möglichkeiten bietet. Hier lassen Advertiser noch viel Potenzial liegen. Über die Gründe kann man nur spekulieren – was aber unbestritten ist: Der Wille zum Aufbau von Data-Driven-Advertising-Kompetenzen auf Agentur- und Kundenseite nimmt stetig zu. Allerdings fehlen noch immer flächendeckende Angebote zum Kompetenzaufbau. Die Besucherzahlen unserer Data Deep Dives in Hamburg, Düsseldorf, München und Frankfurt waren dieses Jahr schon überwältigend und wir werden auch 2020 wieder kostenlose Educational Events anbieten, denn insbesondere bei den Methoden und Maßstäben zur Bewertung von 3rd-Party-Daten gibt es großes Interesse. So können wir regelmäßig über einige hartnäckige Mythen aufklären.
5. Der Cookie ist noch gar nicht tot
Die Sorge, dass das Sammeln von Informationen mit Cookies ohnehin in absehbarer Zeit der Vergangenheit angehören könnte, halten wir für unbegründet. Unser Report zeigt auch: Der Cookie ist nicht tot. Neue Browser-Versionen mit Tracking Protection oder solche, die automatisch Cookies löschen, stellen derzeit keine Bedrohung für den Programmatic-Markt dar. Vielmehr löschen die User ihren Cache ohnehin regelmäßig oder nutzen die automatische Vergessen-Funktion des Browsers. Auch die mit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 befürchteten Einschränkungen sind bisher ausgeblieben. Tatsächlich können wir bei emetriq Auswirkungen wie schrumpfende Datenbestände bisher nicht feststellen: So ist der emetriq-Datenpool mit mehr als 100 Millionen aktiven Profilen nach Einführung der DSGVO genauso wie vorher durchgängig schwankungsfrei und stabil. Trotzdem wappnen sich alle Anbieter für eine Cookieless-Ära insbesondere durch die Einführung neuer kontextueller Targeting-Verfahren. Diese können zwar in der Präzision nicht ganz mit den Cookie-basierten Verfahren mithalten, bieten aber die Möglichkeit, auch cookieless Reichweiten zu qualifizieren und so für das Targeting eingesetzt zu werden.
Fazit
Auf Basis der Erkenntnisse aus dem Programmatic Data Report möchte ich Advertisern empfehlen, ihre Komfortzone zu verlassen. Sie können dadurch demografische Targeting-Kategorien wie Alter und Geschlecht hervorragend anreichern, den Kreis um die anvisierte Zielgruppe noch etwas enger ziehen und so Streuverluste deutlich verringern, um die Media-Effizienz zu steigern. Eine weitere ganz große Chance, dem Wettbewerb einen Schritt vorauszugehen, sind individuelle Segmente. Datenanbieter können beispielsweise verschiedene Interessenssegmente miteinander kombinieren und zusätzlich Informationen zu Alter und Wohnort der Zielgruppen ergänzen. Anstatt also alle Männer zwischen 30 und 39 Jahren ins Visier zu nehmen, ist es doch viel aufschlussreicher, das Targeting je nach Produkt/Dienstleistung ausschließlich auf Familienväter in diesem Alter auszurichten, die in ihrer Freizeit Motorrad fahren oder gern wandern. Das kommt auch dem Konsumenten zugute. Denn so hat Werbung immer einen relevanten Nutzen für den User, anstatt zu nerven. Die Königsdisziplin ist es, diese Daten mit den eigenen 1st-Party-Daten zu kombinieren, um dem User die jeweils relevanten Informationen im Laufe seiner Customer Journey anzuzeigen – hierfür gibt es inzwischen einige Möglichkeiten z.B. CRM-Daten einzubinden.